Es ist ein bisschen schwierig mich auszudrucken. Ich wollte es nicht sagen, konnte es nciht sagen, brachte es einfach nicht fertig, den Mund aufzumachen und dir zu sagen dass ich gehe. Und wie. Ich verlasse dieses Land und diese Stadt und diese Straße und diese Wohnung und dieses Zimmer und ich werde, höchstwahrscheinlich, nie wieder zurückkommen. Ich sage das so, so beiläufig, so nebenbei, weil ich es mir jeden Tag eingeübt habe. Ich saß, seit zwei Wochen saß ich im Wohnzimmer und habe es vor mich hin gesagt, habe der Luft vor mir gesagt, ,ich gehe’. Es dir zu sagen ist etwas schwieriger, denn im Gegesatz zur Luft, also im Gegensatz zu mir selber, hast du etwas dazu zu sagen. ,Nein’ hast du dazu zu sagen, also dagegen zu sagen. Du willst nicht, dass ich gehe. Sagtest du.
Bei ,nein’ kann es nicht bleiben, so einfach ist diese Sache nicht. Du verstehst mich nicht, du willst mich nicht verstehen, das Einzige, was du verstehst, ist dass ich dich verlasse. Dich verlasse ich nicht, also nicht mit Absicht, aber da du mit diesem Zimmer und dieser Wohnung und dieser Straße und dieser Stadt und diesem Land auf Ewigkeit verbunden bist, gehörst du zwangsläufig zu den Sachen und Orten und Leuten, die ich verlasse.
Ein Geheimnis habe ich für dich, eingepackt und eingeschweift wie Lebensmittel, wie Fleisch, das nicht verderben soll. Mein Geheimnis soll auch nicht verderben, also darfst du es nicht auspacken, sondern aufbewahren für immer und ewig und mindestens bis nächster Woche. Ich sage dir nicht, was drinnen ist, denn es ist ein Geheimnis, oder? Ich lege es dir hin neben dem Waschbecken. So. Siehst du? Genau da. Vielleicht hinter dem Wasserhahn ist besser, oder im Schrank? Vielleicht vergisst du es, wenn ich es in den Schrank stecke—ich lass mein Geheimnis hier neben dem Waschbecken.
Wir kennen uns seit zwei Tagen. Oder zwei Wochen. Oder zwei Jahren. Mir ist nicht so ganz klar, ich nehme es mit den Daten nicht so ganz genau. Du weiß das, nicht wahr? Wir haben uns nur zufällig kennengelernt, zwei Einzelpersonen, die jetzt Zweipersonen sind. Oder so ähnlich. Zwillinge sind wir, denn wir sehen uns sehr ähnlich. Wir sind sehr ähnlich: gleichaltrig, beide mit braunen Haaren—meine sind links gescheitelt, deine dagegen rechts—und mit leuchtenden, blauen Augen. Sommersprossen haben wir beide. Darüber bin ich froh, denn die anderen in der Schule machen sich über meine Sommersprossen lustig, und es erleichtert mich, dass du meine Last auch teilst.
In letzter Zeit, zumindest seit der Schule wieder angefangen hat, sehen wir uns seltener. Früher sahen wir uns morgens, abends, mittags, manchmal vor- oder nachmittags. Manchmal sahen wir uns mitten in der Nacht, manchmal trafen wir uns mitten in der Nacht, wo der Mond vom Fenster über meiner rechten—deiner linken—Schulter uns beleuchtete.
Jetzt ist es aber morgen, es ist der Morgen, an dem wir diese Wohnung, diese Straße, diese Stadt und dieses Land verlassen werden. Wir fahren mit dem Auto, hat Mama gesagt. Ich will aber nicht, aber sie hört nicht auf mich, sie sagt, dass wir gehen müssen. Es ist Zeit, dir zu sagen, dass ich gehe, aber wie gesagt, gerade das fällt mir jetzt schwer.
,,Peeeeeeter!” das war Mama. Sie ruft mich. Sie steht schon vorne, vorm Haus und vorm Auto, und wartet auf mich. Nur ich fehle, und sie ruft nach mir. ,,Peter!” sagte sie wieder. Sie steht hinter mir, hinter dir auch, und lächelt mir zu. Sie ist nicht böse, aber sie wird böse, wenn ich nicht mitkomme.
,,Mama, ich will nicht gehen,” klagte ich, wimmerte ich, aber sie begann trotzdem mich—dich—langsam aus dem Badezimmer zu zerren. Ich sah, wie du dich wehrtest, aber sie war kräftig und stärker. Fast warst du aus meiner Sicht verschwunden, da schreite ich dir, wie aus der Ferne: ,,ich muss gehen! Ich komm nicht wieder. Es tut mir Leid!” Und ich sah auch, wie du mit offenem Mund mir auch etwas zu schriest. Ich habe dich aber nicht gehört, nichts gehört, überhaupt nichts.
,,Peter, wir müssen gehen,” antwortete Mama. ,,Ach, was soll’s,” sagte Mama. “Ich werde es nie verstehen, wieso du ständig im Badezimmer stehst und mit deinem Spiegelbild redest! Aber wir müssen los!” Und als sie mich noch einmal zerrte warst du weg, verschwunden.
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