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Friday, January 16, 2009

DAS RAFAH-CROSSING: DIE POLITISCHE LAGE

DIPLOMATISCHE VORSCHLÄGE:

Die meisten diplomatischen Ansätze beruhen auf drei Hauptpunkte: Waffenstillstand seitens Hamas, Waffenstillstand mit möglichem vollständigem Abzug seitens Israel, und ein verbessertes Grenzregime (s.u.). Obwohl Ägypten durchaus das Recht hätte, die Grenze komplett oder begrenzt unilateral aufzumachen, zieht es Ägypten vor, sie geschlossen zu halten mit der Absicht, zu einem verbesserten Grenzregime zu gelangen. Ägypten hat drei Hauptobjektive: Versöhnung zwischen Hamas und Fatah mit Fatah bevorzugt; Stabilisierung Gazas, um eine Überquellung der Gewalt in die Sinai-Halbinsel zu vermeiden; und die Sicherstellung der Grenze bzw. der Übergängen zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu gewährleisten.


MÖGLICHKEIT 1. DIE GRENZE ÖFFNEN


Ägypten würde die Grenze bzw. den Grenzübergang Rafah für Gütertransport, begrenzten Personenverkehr oder ganz zu öffnen. Diese würde den praktischen Ansturm von Flüchtlingen, Konsumenten, Verletzten, und vielleicht auch Hamas-Kämpfern in Ägypten bedeuten. Ägypten hat auch angedeutet, es würde die Grenze nur unter Beobachtung von European Union Observers nach dem 2005 Abkommen öffnen. Einige Analytiker meinen, eine permanente Öffnung sei die einzige Möglichkeit für Hamas, den jetzigen Krieg zu überstehen und, noch wichtiger, in Zukunft sich unabhängig von Israel versorgen zu können—bref, es geht um die Existenz oder Überlebung vom Gazastreifen als (de facto) Staat (auch ohne hiermit eine Äußerung zur Rechtmäßigkeit des Gazastreifens als Staat treffen zu wollen).

Politische Auswirkungen: de facto Anerkennung von Hamas-Kontrolle des Gazastreifens. Ägypten beruft sich auf das 2005 Abkommen zwischen der PA und Israel, wonach die PA für die Kontrolle gazascherseits und Ägypten für seine Grenze verantwortlich ist. Nach dem Vertrag hat Hamas keinerlei Verpflichtung zur Grenzkontrolle, und daraufhin würde Ägypten entweder alleine für die Grenzsicherheit aufkommen oder einen expliziten Vertrag mit Hamas unterschreiben müssen und somit der Hamas de jure Anerkennung geben. Dies würde ferner zu einer Verschlimmerung des Streits zwischen Fatah (von Ägypten anerkannt) und Hamas (von Ägypten nicht anerkannt und mit der ägyptischen Widerstandspartei der Muslimischen Bruderschaft liiert) führen sowie gegen das 2005 Abkommen stoßen. Daraufhin wäre die politische Beziehung zwischen Israel und Ägypten verschlechtert. Einige Analytiker deuten an, Israel könne die Öffnung auf ägyptischer Seite als Ziel des Konflikts haben, um die Auswanderung oder Flucht der Bevölkerung voranzutreiben und die humanitäre und medizinische Verantwortung Ägypten zuzuschieben.

Sicherheitspolitische Auswirkungen:
verstärkter Personenverkehr aus dem Gazastreifen könnte die Sicherheitslage auf ägyptischer Seite gefährden und ,,Terroristen“ könnten in Ägypten Unterschlupf finden. Ägypten wäre möglicherweise selbst gefährdet, und wäre für das Aufspuren von Terroristen oder Hamas-Zellen, für die Sicherheit auf eigener Seite sowie für die Grenze verantwortlich. Die Sicherheits- und Flüchtlingsprobleme wären also auf Ägypten verlagert, vor dem Hintergrund des 2008er Durchbruchs der Grenze (und des darauf folgenden Chaos) und den permanenten Flüchtlingslagern in Jordanien für Ägypten besonders unvorteilhaft.

Andere Auswirkungen:
eine plötzliche Flut von Konsumenten aus dem Gazastreifen könnte die lokale Wirtschaft in eine Krise versetzen, z.B. zu Inflation, opportunistischen Preissteigerungen oder komplettem Ausverkauf Gebrauchsgüter führen. Diese sind bei der letzten Grenzöffnung in 2008 vorgekommen.


MÖGLICHKEIT 2: DIE GRENZE GESCHLOSSEN HALTEN

Ägypten würde sich weigern, die Grenze für Gütertransport oder Personenverkehr zu öffnen, und würde eine Einhaltung der Status quo bedeuten. Nach wie vor wäre die Grenze aber für humanitäre Hilfe und medizinische Versorgung passierbar. Die Grenze geschlossen zu halten wird im arabischen oder islamischen Raum als ,,Versagen“ Ägyptens angesehen, den Palästinensern beizustehen. Ägyptens Regierung wird Mitschuld und auch teilweise Mitverantwortung der Angriffe Israels vorgeworfen.

Politische Auswirkungen:
Die Grenze geschlossen zu halten heißt auch für Ägypten, auf eine diplomatische Lösung zu bestehen und Hamas nicht direkt anzuerkennen, und hoffentlich den Streit zwischen Hamas und Fatah schlichten. Dies räumte auch die Möglichkeit ein, sich auf ein neues Grenzregime zu verständigen, die für Ägypten vorteilhafter wäre. Es würden keine verstärkten Flüchtlinge oder Sicherheitsprobleme auf ägyptischer Seite geben. Weil Hamas trotz allen noch auf Ägypten angewiesen ist (einziger Grenzübergang nicht unter der Krontolle Israels), könnte Ägypten vis-à-vis Hamas an Einfluss gewinnen sollte Ägypten dem Druck standhalten und die Grenze nicht öffnen.

Inlandspolitische Auswirkungen:
Die große Sympathie der heimischen Bevölkerung Ägyptens mit der Lage der Palästinenser und (begrenzt) mit Hamas verstärkt die Unzufriedenheit mir der Regierung Ägyptens. Die muslimische Bruderschaft, offiziell in Ägypten verboten aber trotzdem der regierenden Partei der stärkste politische Konkurrenz, gewinnt an Beliebtheit und politischer Unterstützung nach dem ,,Versagen“ Ägyptens. Die Demonstrationen wurden in Ägypten von der muslimischen Bruderschaft aufgerufen und wurden als Anlass genommen, gegen die ägyptische Regierung im Allgemeinen zu protestieren. Einige Analytiker bezweifeln jedoch, inwiefern die Muslimische Bruderschaft (Ägypten) bzw die Hamas (international) wirklich an Macht gewonnen haben: Demonstrationen in Ägypten scheinen weder keinen sonderlichen Ausmaß anzunehmen noch in tiefe Kritik der Regierung zu wandeln, und international sehen viele arabische Staaten (insb. Jordanien, Saudi Arabien und Syrien) die Verbindung zwischen Hamas und Iran mit Skepsis.

Regionalpolitische Auswirkungen: Ägyptens langjährige Rolle als Streitschlichter im arabischen Raum und insbesondere zwischen Hamas und Fatah wird gefährdet als andere Staaten (insbesondere Iran) die Rolle der Regionalmacht einnehmen (wollen). Die muslimischen Länder teilen sich in zwei Gruppen auf: auf einer Seite stehen Ägypten, Jordanien (als Einzigen, die ein Friedensabkommen mit Israel unterschrieben haben), Saudi Arabien, und Palästinische Autorität (Fatah). Auf der anderen Seite stehen Iran, Hamas, Syrien und die regierenden Hezbollah in Libanon. Iran ist zu Ägyptens stärkstem Kritiker geworden und beschuldigt Ägypten, im jetzigen Konflikt mitgewirkt zu haben und dadurch Mitschuld zu tragen. Ägypten wurde schon weiträumig im Nahost kritisiert und könnte langfristig an politischen Einfluss und Regionalmacht verlieren, weil diese Beschuldung, ,,nichts“ gemacht zu haben, weitgehend auf Zustimmung in der Bevölkerungen trifft—dies bleibt aber noch unbewiesen.


MÖGLICHKEIT 3: EIN VERBESSERTES GRENZREGIME ERFINDEN

Ein besseres Grenzregime, wodurch Waffenschmuggel (und daher die Rakete, die aus dem Gazastreifen auf Israel gefeuert werden) besser verhindert werden kann, wird als diplomatischer Hebel verwendet. Europäische Diplomaten haben Hilfe angeboten, Waffenschmuggel zu verhindern und die Grenze besser zu kontrollieren.

Politischer Hintergrund: Israel hat den Gazastreifen angeblich angegriffen, um den ständigen Raketenabschuss aus dem Gazastreifen endgültig zu stoppen. Israel besteht auf eine bessere Grenzüberwachung, wodurch Hamas keine durch die Tunnel geschmuggelten Waffen und Rakete bekommt, als Grundbaustein eines möglichen Abkommens. Von der Hamas-Seite kommt der Vorwurf, Israel habe das 2005-Abkommen nicht eingehalten und die Grenze nicht vertragsgemäß geöffnet, erst weitgehend in einzeln Bestimmungen (z.B. 400 LKWs pro Tag waren bis Ende 2006 vorgesehen, jedoch beschränkte Israel dies auf 12 pro Tag, Grenzübergänge sollten offen sein, waren aber aus angeblichen Sicherheitsgründen geschlossen) und danach durch die völlige Blockade des Gazastreifens. Dies weist darauf hin, dass ein mögliches Waffenstillstandsabkommen oder gar ein Friedensabkommen die Aufhebung der Blockade wirtschaftlicher Güter beinhalten muss, um auf Akzeptanz von Hamas zu treffen. Deshalb ist die Rafah-Crossing besonders wichtig geworden, weil er der einzige nicht von Israel kontrollierte Grenzübergang zum Gazastreifen ist. Die Tunnel, die sowohl zur Waffenschmuggel als zur Lebensader der Palästinenser seit der Blockade gedient haben, sind dadurch zum Streitpunkt geworden. Auf ägyptischer Seite sind die Tunnel auch der wirtschaftliche Mittelpunkt der Grenzregion geworden, wobei dies offiziell weder gestattet noch anerkannt sind und keine größere Rolle in der Verhandlung zu spielen scheint.

Problemfeld 1: Wer ist für Gaza verantwortlich?

Das 2005 Abkommen wurde zwischen der Palästinischeren Autorität (PA) und Israel mit ägyptischer Zustimmung gemacht. Jedoch, seitdem im Gazastreifen Hamas 2007 an die Macht gekommen ist, hat Hamas de facto Hoheit über dem Gazastreifen während die PA de jure verwalten sollte. Nach einer etablierten Rollenverteilung ist implizit erwartet, dass die USA Israel zum Gesprächstisch bringen und die EU die Palästinenser. Jedoch verhandelt die EU nicht direkt mit Hamas, weil Hamas von der EU und den USA als terroristische Gruppe eingestuft worden ist, zumal hat Mahmoud Abbas, Präsident Palästinas (Fatah), die EU darum gebeten, nicht mit Hamas zu verhandeln um seine Autorität dadurch nicht zu untergraben. Zudem könnte Verhandlungen zwischen der EU und Hamas auch die EU-Israel Beziehungen gefährden. Aus innenpolitischen Gründen möchte Ägypten Hamas nicht anerkennen, jedoch verhandelt Ägypten doch mit hamaschen Diplomaten, im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und der EU. Der Vorschlag, die Grenzübergänge unter parteiunabhängiger Kontrolle einer technokratischen Agentur zu stellen, könnte hierzu einen Ausweg bieten.
Ägypten besteht weiterhin auf das 2005 Abkommen, wonach die PA und nicht Hamas für die Rafah-Crossing verantwortlich sein soll, verhandelt aber weiterhin direkt mit Hamas—aber nur am Rande der ,,offiziellen“ Verhandlungen mit der PA und Israel. Die Verbindungen zwischen Hamas und Iran werden zunehmend verdächtigt, weshalb Hamas nicht mit zunehmender Unterstützung von anderen arabischen Staaten rechnen kann.

Problemfeld 2: Wie würde das aussehen?

Der ägyptisch-französische Vorschlag für einen Waffenstillstand ist nicht vollständig bekannt geworden. Die bisherige Vorschläge sind: bessere Überwachung durch technische Hilfe, internationale Truppen an der Grenze stationieren, und andere physische Maßnahmen wie einen Graben entlang der Grenze zu gruben (von der Jerusalem Post angegeben, sonst nicht weiter bestätigt).

Technische Hilfe:
Der Vorschlag gehört zu den französischen Ansätzen, eine diplomatische Lösung zu finden, und wurde zusammen mit Ägypten vertreten. Ein internationales Team würde mit Ägyptischen Sicherheitskräften auf der ägyptischen Seite arbeiten, um den Transfer von Waffen und Kämpfer endgültig zum Ende zu bringen. Technische Hilfe (nach israelischen Quellen von den USA entsandt) würden die ägyptischen Kräfte verstärken, neue Tunnel aufzuspuren, Waffenhandel zu kontrollieren und Sicherheit (auch geheimdienstlich) zu erhöhen. Frankreich und die Türkei haben bisher ein Monitoringteam angeboten, um die Grenze besser zu überwachen, und Deutschland und die USA haben Ingeneure und andere technische Hilfe zur Verfügung gestellt, um diese sog. Philadelphi Corridor zu schließen. Fatah sieht für sich auch eine verstärkte Rolle, wonach Fatah Soldaten oder Polizisten, zusammen mit Observation-Teams der EU (die das 2005 Abkommen bzw die Grenze hat überwachen sollen), mit den Ägyptern zusammenarbeiten würden.

Internationale Truppen an der Grenze:
Dieser Vorschlag wurde auch von der PA unterstützt, wonach internationale Truppen an der ägyptischen und gazaschen Grenze stationiert wären (auf ägyptischem Territorium), um Schmuggel zu verhindern. Ägypten hat solch einen Vorschlag aus Souveränitätsprinzipien abgelehnt haben, und internationale Truppen im Hamas-Gebiet zu stationieren würde die Kontrolle Hamas de facto anerkennen. Ägyptische Zustimmung wäre einer Akzeptanz dessen, dass Waffen über Ägypten in das Gazagebiet eingeschmuggelt wurden, gleichzusetzen. Hamas hat bisher auch abgelehnt, auch nur eine internationale Beobachtungskommission an der Grenze stationieren zu lassen.


UND WIE WEITER?

Ägypten hat drei Hauptobjektive: Versöhnung zwischen Hamas und Fatah mit Fatah bevorzugt; Stabilisierung Gazas, um eine Überquellung der Gewalt in die Sinai-Halbinsel zu vermeiden; und die Sicherstellung der Grenze bzw. der Übergängen zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu gewährleisten. Obwohl Ägypten durchaus das Recht hätte, die Grenze komplett oder begrenzt unilateral aufzumachen, kommt es nicht wirklich in Frage, die Grenze zu öffnen—dies würde den Streit zwischen Hamas und Fatah nur verschlechtern, eine mögliche Verlagerung der Probleme auf die Sinai-Halbinsel und auf Ägypten heranleiten, und würde die Grenzsicherung gefährden. Ägypten will die Palästina-Krise nicht auf sich ziehen. Für Ägypten ist auch wichtig, die Rolle als Regionalmacht und Streitschlichter zu behalten, aber dies wird zunehmend in Frage gestellt und hängen eng mit regionalpolitischen Interessen zusammen. Die Grenze verschlossen zu halten bietet die Möglichkeit, eine Diplomatische Lösung und dadurch vielleicht Versöhnung zwischen Hamas und Fatah heranziehen, jedoch gefährde dies Ägyptens Position als Regionalmacht und Streitschlichter und könnte zu regional- oder innenpolitischen Konsequenzen führen. Die seriösen diplomatischen Ansätze beruhen auf drei Hauptpunkte: Waffenstillstand seitens Hamas, Waffenstillstand mit möglichem vollständigem Abzug seitens Israel, und ein verbessertes Grenzregime—jedoch ist noch nicht erläutert, wie dies aussehen könnte. Internationale Truppen wurden bisher von allen Seiten abgelehnt, und die Rolle möglicher technischen Hilfe ist noch unklar Der Vorschlag, die Grenzübergänge unter parteiunabhängiger Kontrolle einer technokratischen Agentur zu stellen könnte eine Antwort auf das Anerkennungsproblem Hamas liefern, jedoch löst nicht die grundlegenden Probleme—aber wenn es einfach wäre, wären es schon längst gelöst. Jetzt steckt nun auch Ägypten in der Falle.

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