Berlin, Berlin, Berlin. Eines Tages werde ich in Berlin wohnen, das weiß ich schon, oder nehme mir zumindest vor. Jeder hat eine Stadt, die zu einem spricht, die einen anlockt, die einem etwas darstellt. Ich hab zwar viele von ihnen, viele Städte, die zu mir sprechen, mich anlocken und mir etwas darstellen. Viele Städte, wo ich gerne leben möchte. Ich habe versucht Rechnungen aufzustellen, wie oft ich schon in Berlin war, aber ich weiß es jetzt nicht mehr. Meistens bin ich im Sommer unter den Linden, am Ufer der Spree oder irgendwo in der Bergmannstrasse, selten, wie jetzt, im Winter. Schöne Erinnerungen eines Sommers im Tiergarten, einer Motorbootfahrt auf der Wannsee an den prächtigen Villen vorbei, eines Nachmittags im Café am Sevigny-Platz, eines schwitzenden Besuchs beim Haus am Checkpoint-Charlie stapeln sich im Hinterkopf als ich durch die schneebedeckten und eisigen Straßen stampfte.
Ich bin kein Berliner(in), (stand jedoch unter dem Balkon, von dem Herr Kennedy sprach), behaupte jedoch, die Stadt zu kennen. Natürlich kratze ich nur an die oberste Ebene Berlins. Aber (ziemlich) alles, was gesehen werden muss, habe ich gesehen, von Humboldt-Uni zum Alexanderplatz, Friedrichstrasse hoch und runter, alles Nähe Mitte oder Unter den Linden, Berliner Mauer, Platz der Lüftbrücke und Holocast-Denkmal, unzählige Museen und schöne Ecken, an die ich mich nicht mehr erinnere, Reichstag mitsamt Schlange und Sicherheitskontrolle, leckere Restaurants und das Beste Eis der Welt (Geheimtipp: Sony-Arkaden am Potsdamer Platz. Dort gibt es Brombeer-Mandarinen- und Walnuss-Feigeeis). Und genauso habe ich meine Lieblingsstädte am Liebsten. Nicht mehr, wo ich schon alles gesehen habe, muss ich zu jeder Sehenswürdigkeit pilgern, mich davor fotografieren lassen und wieder in den Bus steigen wie die japanischen Touristen, die sich wie Tausendfüßler in Gruppen von fünfzig durch die Stadt bewegen. Ich muss nirgendwo hin, weil ich schon da war. Ich muss nicht mehr ratlos vor einer Kirche oder einem Museum oder einem Denkmal stehen und mich fragen, wieso ich gerade die, das oder den aufsuchen wollte, ob es mir überhaupt eine Bedeutung hat oder ob ich nur dort hin wollte, weil man es ja eben gesehen haben muss.
Das Smalltalk ist vorbei. Berlin und ich, wir haben uns schon vorgestellt, schon ausgetauscht, woher wir kommen, was wir gerade machen, ob wir etwas gemeinsam haben. Jetzt ist die schöne Zeit des wirklichen Kennenlernens, wo es darum geht, sowohl die schöneren geheimen Ecken zu finden als auch die Macken, die abgefahrenen und heruntergekommenen Seiten auch. Wie mit einem neuen Liebhaber: man ist eben doch noch frisch verliebt, schaut aber, ob er sich wirklich mit dieser neuen Person versteht, um sich hoffentlich noch fester zu verlieben.
Dementsprechend sieht mein Besuch in Berlin immer anders aus. Meistens bin ich auf Besuch, und in einer Woche fahre ich vielleicht ein- oder zweimal ,,in die Stadt“, und ansonsten bleibe ich in Zehlendorf oder Dahlem oder Steglitz oder Schöneberg oder was weiß ich noch bei Freunden, weswegen ich gekommen bin. Manchmal habe ich selber Besuch aus der Heimat, die in 24 oder 4 Stunden alles von Berlin sehen wollen, und dann sind wir wieder auf rascher Touri-Tour, liebevoll und lustig kommentiert von meinen Berliner Freunden. Diesmal war ich alleine, ein Zustand, den ich auf Reisen zunehmend genieße, denn es geht nicht mehr darum, wer wohin will und wann wir uns wieder treffen wollen. Keine Meinungsverschiedenheiten, keine Argumente, kein ,,ist mir egal“, ,,weiß nicht,“ oder ,,entscheide du“ (wofür ich genauso viel Verantwortung trage, denn am Liebsten meinen Gefährten die Entscheidung überlasse). Ich schloss mein Gepäck ab, marschierte aus dem Bahnhof einfach drauflos, ziellos, ahnungslos, ohne Plan und ohne Karte. Ich kann einfach laufen, so lange ich will, abbiegen, wo es mir gefällt oder am interessantesten vorkommt. Essen, wann ich Hunger habe und was ich will. Ich laufe nicht, um irgendwohin zu kommen, denn es gibt nichts, was ich aufsuchen möchte, denn ich kenne alles schon—und die Sachen, die ich nicht schon kenne, sind eher zu entdecken, indem ich einfach weiter gehe und sie in ihrem Versteck aufspüre. Ich will das Leben im Quartier entdecken, ich will die kleinen Geschäfte und Tanta-Emma-Läden sehen, ich will irgendwohin, wo ein Reisebus nicht durchpasst, wo es schön ist und wo es hässlich ist. Es ist manchmal schwer zu glauben, aber es gibt auch Leute die in Berlin leben, und nicht nur Touristen—auch im Winter! Bloß nicht auf eine Karte schauen, nicht nach dem Weg fragen, denn ich habe keinen Weg und weiß ohnehin, in welcher Richtung ich laufe. Wenn ich Glück habe, komme ich irgendwohin, wo ich nicht schon gewesen war. Wenn ich wirklich Glück habe, komme ich irgendwohin, wovon ich nicht mehr zurück will.
Es gibt öfters lustige Leute. In Kreutzberg habe ich zwei Engländer entdeckt, die mit Rasta-Locken und Röhrenhöschen über Esoterik diskutierten, die mir nach Friedrichstrasse folgten und die ich später am Hauptbahnhof vertieft in Diskussion mit einer Currywurst sah. In der Station Potsdamer Platz wurde einen Penner verhaftet (oder vielleicht nur freundlich hinausbegleitet, jedoch war der polizeiliche Einsatz stark genug, dass ich nicht mehr von Freundlichkeit ausgehen konnte), der allerlei Unfug über dem Gebrüll seines bellenden Hundes schrie. Ein junges Paar aus Amerika hat es in die S-Bahn Oranienburgerstrasse kaum geschafft, denn die Türen wollten schließen, und ein Student hat ihnen die Tür offen gehalten. „Thank you!“ rief der Eine, woraufhin der Student ihm freundlich antwortete: „please!“ (und zu seiner Freundin: ,,schau mal, wie gut ich Englisch kann!“). Neben mir am Flughafen deponierte jemand sein Gepäck, und ständig wechselte er sein Rhythmus: er schlief auf dem Gepäck, er wanderte unruhig herum und fingerte seinen Pferdeschwanz—der ohnehin eher wie ein Rattenschwanz aussah—oder er brüllte in sein Handy (auf Griechisch, wie sich später herausstellte; seine Erwiederung auf ,,¿hablas español?“ war ,,Greek, greek!“).
Heute habe ich nichts neues entdeckt, nur das Alte, mit einer schönen Decke Schnee, begleitet von meiner eigenen Freude und den fröhlichen Stampfen meiner Stiefel. Nichts neues entdeckt, mich dafür erneut in die alte Berlin verliebt.
Bis zum nächsten Mal, Berlin.
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